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Eine Schar Wildgänse kreist auf Ihrem Weg ins Winterquartier über einem See. Sie scheinen die Richtung verloren zu haben. Immer wieder entwickeln sich neue Formationen, die nach kurzer Zeit zusammenbrechen.
Die Suche nach dem richtigen Weg wird von einem ohrenbetäubenden Geschrei begleitet. Es ist, als würden viele durcheinander rufen: „Hier geht es lang.“ Und andere „Nein, hier geht es lang.“ Nach einiger Zeit der Verwirrung entwickelt sich eine Richtung, der alle folgen. Augenblicklich verstummt das Geschrei und die Harmonie ist wieder hergestellt.
Ein anderes Mal beobachte ich das gleiche Schauspiel. Eine Gruppe von Wildgänsen verharrt jedoch sehr lange palavernd im Kreis drehend. Nur kleine Grüppchen lösen sich aus dem Schwarm und fliegen in die Richtung, in der der Großteil schon längst verschwunden ist. Irgendwann schaffen es auch die kreisenden Vögel, ihre Richtung zu finden. Es geht nach Süden, wo es warm ist.
Diese Metapher mag an die derzeitig aufgebrachte Diskussion in Deutschland und ganz Europa um das Flüchtlingsdrama erinnern. Bei den Wildgänsen geht das Chaos gut aus – bei uns wird das Gleiche eintreten. Betrachten wir die Situation aus mehreren Perspektiven im Hinblick auf emotionale Kompetenz:
1. Psychologie des Fremden
Alles Fremde und Unbekannte wirkt zunächst einmal bedrohlich auf uns und erzeugt Stress. Forscher der McGill University in Montreal haben herausgefunden, dass dieser Stress sodann unser Mitgefühl blockiert.
Das ist ein automatischer Vorgang, der sich bei vielen Deutschen und der Mehrzahl der europäischen Regierungen abspielt.
Doch diesmal ist ein kleines Wunder eingetreten. Überwiegend reagieren die Menschen in Deutschland samt der Regierung mit Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Und das, obwohl sie in Europa zusammen mit den Schweden fast alleine dastehen. Das ist ein interessantes Phänomen. Hier wird tatsächlich nicht die Angst bedient, sondern die Zuversicht. Chapeau – der Mensch fängt an, seine Souveränität in Anspruch zu nehmen, anstatt sich vom Stress-Modus leiten zu lassen. Das ist ein reifer Aspekt der emotionalen Kompetenz.
Nur direkter Kontakt vermindert das vermeintlich Bedrohliche und macht aus Fremdem Bekanntes. Dies ist eine Empfehlung an diejenigen, die eine unkontrollierbare Gefahr heraufbeschwören und sich lieber abschotten möchten. Wie wäre es, sich als Helfer zu melden und den gebeutelten Menschen in die Augen zu sehen? Anstatt die jetzt benötigten Polizeikräfte durch Demos auf den Straßen zu binden?
2. Mut und Zuversicht
Angesichts zitternder Kinder und Frauen in unmenschlichen Lagern oder allein gelassenen Flüchtlingen auf den Straßen Ungarns, hat eine Kanzlerin den Mut, die Grenzen zu öffnen. Sie weiß nicht, wie sich das auswirken wird, was es genau kosten wird und welche Folgen es haben wird. Sie macht sich Obamas Motto „Yes, we can“ zu eigen und wandelt es in ein deutsches „Wir schaffen das“. Sie riskiert ihre politische Zustimmung. Wer Hoffnung und Zuversicht aufgibt, verliert Kraft. Hätte sie das getan, hätten wir einen weiteren Zaun bauen müssen, nachdem Deutschland gerade eine Mauer abgerissen hat. Trotzdem wären die Flüchtlinge gekommen, denn sie haben nichts mehr zu verlieren, außer dem Leben. Sie wären sogar über 6 Meter hohe gefährliche Zäune geklettert wie in den spanischen Enklaven Ceuta oder Melilla. Zuversicht hat Menschen selbst in den lebensbedrohlichsten Situationen überleben lassen. Das zeigt, welche Kraft diese Einstellung und Emotion in uns entfachen kann. Damit nutzen wir emotionale Kompetenz.
Es bedeutet nicht, dass wir die Krise ohne Ordnungsstrukturen bewältigen können. Aber die Situation ist neu und was die fremde Kultur und Sprache der Flüchtlinge betrifft, ohne Beispiel. Chaos steht bei einer Veränderung immer vor der Ordnung – so wie bei den Wildgänsen. Wir können also zuversichtlich sein, dass wir einen Weg der Ordnung finden werden.
Zu dieser Ordnung gehört vor allem die Beseitigung der Fluchtursachen: Krieg und Armut. Leider sorgen die reichen Länder durch ihr Wirtschaftsgebaren teilweise dafür, dass arme Länder arm bleiben. Angesichts der aktuellen Machtlagen, angesichts des unkontrollierten Testosterons der IS und der globalen wirtschaftlichen Interessen in den Ländern Afrikas, erscheint Zuversicht hier blauäugig und fast aussichtslos.
Trotzdem ist es die einzige Einstellung, die etwas nach vorne bewegen kann – wenn auch nur millimeterweise. Wer die Zuversicht aufgibt, hat schon verloren und kann sich nur noch einigeln bis die Wirklichkeit über ihm zusammen bricht.
Das derzeitige Schweigen der meisten europäischen Länder – Inhaber des Friedens-Nobelpreises – ist verdächtig. Haben doch auch sie ihren Anteil an Armut, Konfliktverschleppung und tatenlosem Zuschauen in den problematischen Ländern.
3. Mitgefühl und Emotionale Kompetenz
Stellen Sie sich einen Menschen vor, der vor physischer Bedrohung Schutz sucht und auf seinem Weg nur Ablehnung und Ausgrenzung erlebt. Stellen Sie sich vor, wie er nach einem lebensgefährlichen Weg mit Kind und Kegel vor dem ungarischen Grenzzaun zusammen bricht. Zugehörigkeit ist eines der wichtigsten Gefühle, die wir Menschen brauchen für eine gesunde emotionale Entwicklung. Unser Selbstwert-gefühl ist eng damit verbunden. Diese Menschen haben hinter sich alles verloren und vor sich sehen sie, dass sie unerwünscht sind. Versetzen Sie sich einmal kurz in diese Lage und spüren Sie, wie sich das anfühlt.
Der erste Mensch, der sie wieder anlächelt und sie willkommen heißt, ihnen wieder Wert und Würde zuspricht – der ist ein Heiler. Bei diesem Lächeln fallen Tonnen der emotionalen Anspannung ab – ein erstes Aufatmen ist möglich.
Vor über 60 Jahren hat Deutschland vielen Menschen diese Würde abgesprochen und sie ausgegrenzt. Für diese Menschen war es lebenswichtig, dass andere Länder sie aufgenommen haben – wenn auch zunächst zögerlich. Heute können wir verankern, dass wir etwas daraus gelernt haben. Es gibt keine Alternative zu Mitgefühl!
Mitgefühl ist eine Herzensqualität. Um trotz unvorstellbarer Grausamkeiten zu überleben, hat sich die Menschheit jahrhundertelang nur eingeschränkt Zugang zum Herzen, zum emotionalen System und damit auch zur Intuition erlaubt. In unseren Schulen wird fast ausschließlich die mentale Kompetenz geschult und anerkannt. Wir sind aus dem Gleichgewicht geraten zwischen dem überbewerteten Verstand und den unterdrückten Emotionen und Gefühlen.
Insofern sind wir gerade in einer Trainingsphase des Mitgefühls, die unserer Gesellschaft gut tut. Trotz aller Überforderung sehen wir Uniformierte und Helfer vieler Länder mit großer Empathie, Respekt und Freundlichkeit im Umgang mit den Flüchtlingen. Chapeau!!!
Mitgefühl ist kein „nice to have“ – es ist lebensnotwendig. Wenn es durch unseren Körper fließt, spüren zuerst wir selbst die wohltuende Schönheit dieses Gefühls. Es wirkt sich auf unser eigenes emotionales System aus und ermöglicht uns, Mitgefühl mit uns selbst zu haben – mit unseren Ecken und Kanten, mit unseren Missgeschicken und Holprigkeiten. Das benötigen wir dringend für unsere Selbstheilungsprozesse und für die Gesundheit unseres Körpers.
4. Chancen und Risiken für die Gastländer
Wenn die Kanzlerin die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet hat, weiß sie auch ganz pragmatisch dass Deutschland ohne Migration aus der demographischen Migräne nicht herauskommt. Dies sind die Chancen, die alle, die Angst vor der scheinbaren Überfremdung Deutschlands haben, ebenfalls wahrnehmen sollten. Sie sollten auch bedenken, dass die deutsche Wirtschaft schon lange nicht mehr ohne die Arbeitskraft von ausländischen Mitbürgern auskommt. Wenn wir uns jetzt überrannt fühlen, liegt das an der Geschwindigkeit – nicht an den Zahlen. Denn schon 1997 lebten 1.050.000 Flüchtlinge in Deutschland.
Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, werden sehr wahrscheinlich langfristig gewinnen.
Natürlich gibt es auch Risiken – abgesehen von den hohen Finanzierungskosten als Zukunftsinvestition. Je schneller wir hinsehen und Maßnahmen ergreifen, desto besser
Diese Risiken können durch eine konsequente Integrationspolitik vermindert werden. Die meisten Flüchtlinge sind mehr als willig, sich zu integrieren, da die Brücken hinter ihnen abgebrannt sind und sie hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.
Michaele Kundermann
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